(Sollten Sie nicht an IT Service Support Prozessen interessiert sein, so lesen Sie bitte direkt ab der letzten Überschrift weiter.)
Ich beschäftige mich seit 2001 mit ITIL. Damals habe ich meine erste Foundation Schulung gemacht., später meinen ITIL Service Manager, dann den ITIL Expert, dann den ITIL 4 Managing Professional und habe schließlich im November 2020 das ITIL® 4 Strategic Leader Certificate erhalten. Nebenbei habe ich unzählige Bücher über Wissensmanagement gelesen, und mich an Abhandlungen über implizites und explizites Wissen ergötzt. Während ich mich theoretisch weitergebildet habe, war ich für unzählige ITSM Projekt verantwortlich, oder in beratender oder beobachtender Rolle mit dabei. Immer wieder ist dabei das Thema Wissensmanagement aufgetaucht. Immer wieder wurde der eine oder andere Versuch unternommen den Wissens Management Prozess zu etablieren. Doch praktisch immer ist nach einiger Zeit alles zum Stillstand gekommen, und letztendlich jegliches Funding dafür versiegt.
Der gebräuchliche Ansatz wirkt nicht nachhaltig
Es gibt eine ganze Mange von Gründen warum diese Projekte gescheitert sind. Ein paar möchte ich hier aufzählen:
- Fehlende Unterstützung der Führungsebene
Das liegt aber nicht daran, dass die Führungsebene nicht will. Diese ist vielmehr von Zahlen und Fakten abhängig. Wenn also niemand den Wert darstellen kann und den Nachweis dafür erbringt, dann ist es nicht weiter wunderlich wenn das Budget gestrichen wird - Zu weit gefasstes Vorhaben (unfokussiert)
Der Begriff Wissensmanagement ist sehr weitreichend, und kann alles und nichts bedeuten. Meist fehlt das Scoping und die Abgrenzung, also die Antworten auf die Fragen „Was wollen wir machen?“ und „Was wollen wir nicht machen?“ - Konzentration auf Software und Tools, weniger auf Inhalte und kommunikative Bedarfe
Wenn das Thema zum Fliegen kommen soll, dann hilft das Tool alleine gar nichts. Es braucht organisatorische Massnahmen, Schulungen und Verantwortlichkeiten. - mieses Tool
Ohne gute Lösung geht aber auch gar nichts. Häufig wurden in der Vergangenheit immer wieder Lösungen gewählt, die völlig ohne Integration, Kontext und vor allem Reporting arbeiten. Wenn das Wissen nicht auf Knopfdruck zur Verfügung steht und im aktuellen Kontext das gesuchte Wissen darstellt, dann ist es wertlos. Eine Sammlung von Dokumenten auf einem Sharepoint Folder, ein Wiki ohne Reporting, und eine global Enterprise Search Lösung sind kein Wissensmanagement. - Falsche Erwartungen aufgrund ungenügender Bezugsgrößen
Die Frage lautet nicht, wie viele Dokumente ein Knowledge Broker freigegeben hat, sondern vielmehr wieviel ich mir bei der Ticket Bearbeitung gespart habe. - Versuch der Zentralisierung (Kontrolle?) von Wissensmanagement
Wer glaubt, das Wissen nur dann gutes Wissen ist, wenn es inhaltlich und grammatikalisch dreifach gecheckt wurde, und genderkonform und nach Corporate Identity dargestellt wird, der liegt einfach falsch. - Künstlich aufgesetzter Prozess
Das Wissensmanagement ist im Wesentlichen ein Hilfsmittel zur Unterstützung anderer Prozesse. Wenn es völlig entkoppelt von diesen Prozessen betrieben wird, dann funktioniert es nicht, weil es auch seinen Wert gar nicht darstellen kann. Der Wert liegt nicht darin einen Artikel zu schreiben. Er liegt auch nicht darin diesen Artikel zu finden, sondern bspw darin dass ich mir als User selbst helfen kann, und deswegen überhaupt kein Ticket aufmachen muss. - Erzwungener Content
Es hilft nichts wenn man Mitarbeiter zwingt Wissen zu erfassen. Wenn der Manager eine Quote auf Wissensartikel vergibt, dann ist das vollkommen kontraproduktiv. Wenn dieses Wissen dann noch an die Corporate Identity angepasst werden muss, und dann erst freigegeben wird, dann liegt man völlig falsch. - Hobby-Knowledge Manager
So wie es sich nicht bewährt hat den Neffen der Buchhalterin mit dem Backup zu beauftragen, so wenig funktioniert es der Administrationskraft des CIOs nebenbei KM „umzuhängen“.
Der bei ITIL beschriebene Prozess hat einen weitgreifenderen Inhalt und ist gleichzeitig für den Support unzureichend.
Bei ITIL 4 ist der Zweck der Wissensmanagement-Praxis die effektive, effiziente und bequeme Nutzung von Informationen und Wissen in der gesamten Organisation zu erhalten und zu verbessern. Das 43-seitige Dokument „Knowledge management ITIL® 4 Practice Guide“ beschreibt dabei wieder das Wissensmanagment aus allen möglichen Perspektiven, verweist auf das SECI Modell von 1990, einen Artikel zu einigen Wissensmanagement Prinzipien von 2008 , aber vor allem gibt es keine konkreten Anweisungen zur Umsetzung in Supportorganisationen. Es ist hier vielmehr als Praktik beschrieben, die Knowledge Asset verwaltet, die von allen anderen Praktiken benützt, verarbeitet und gemanaged werden. Es beschreibt, dass viele andere Praktiken Anforderungen ans Wissensmanagement haben und sich dieses Organisatorisch vielfach auswirkt.
Im Abschnitt 3.2.1 beschreibt das Dokument den Aufbau und die Pflege der Wissensmanagement-Umgebung.
Der Wissensmanagement Prozess stellt die Existenz und Verbesserung der Umgebung sicher, in der alle Beteiligten die Natur des Wissens verstehen und bereit sind, es zu generieren, zu nutzen und zu übertragen.
Knowledge management ITIL® 4 Practice Guide, © 2020 Axelos
Der Prozess ist fokussiert auf:
- die Veränderung veralteter Muster der Wissensnutzung
- den Aufbau und die kontinuierliche Verbesserung der Organisationskultur, die wertvolles Wissen ermöglicht
- Wissensnutzung und -transfer ermöglicht
- die Stärkung der Lernumgebung innerhalb einer Organisation
- kontinuierliche Verbesserung der Wissensmanagement-Praxis im Allgemeinen
- Identifizierung des Wissensbestands innerhalb einer Organisation
- Identifizierung der Art und Weise, wie Wissen geschaffen und übertragen wird und wie Wissensbestände verwaltet werden (stillschweigend bis explizit, strukturiert und unstrukturiert).
Was leider (wie immer) in diesem Practice Buch fehlt, sind klare Anweisungen, wie die Prozesse in Workflows umzusetzen sind. Hier kommt aus meiner Sicht KSCs zum Einsatz.
Warum also KCS?
KCS ist eine bewährte Methodik zur Integration der Nutzung, Validierung, Verbesserung und Erstellung von Wissen in den Arbeitsablauf. Der Methodik ist ein Prozess der kontinuierlichen Verbesserung inhärent, der auf den Erfahrungen der Ausführenden und den Mustern basiert, die sich aus der Wiederverwendung von Wissen ergeben. KCS unterscheidet sich stark vom traditionellen Knowledge-Engineering-Ansatz, der in den meisten gescheiterten Knowledge Management Projekten, die ich gesehen habe, angewendet wurde. Dieser Ansatz basiert auf dem Konzept des Wissens von einigen wenigen für viele andere zu nutzen. KCS ist ein Many-to-Many-Modell. Seine Eleganz rührt von der Tatsache her, dass es bedarfsgesteuert und selbstkorrigierend ist, weil es auf den akademischen Konzepten des Doppelschleifenlernens basiert.
Wissensarbeiter aller Art und in allen Funktionen und Branchen haben etwas gemeinsam: Ihr „Produkt“ ist Wissen. Egal, ob es sich um einen Support-Mitarbeiter handelt, der Lösungen für Probleme liefert, um einen Produktmanager, der Anforderungen vermittelt, um einen Personalberater, der den Mitarbeitern bei der Wahl ihrer Sozialleistungen hilft, oder um einen Rechtsberater, der über die gesetzlichen Anforderungen berät – sie alle geben den Menschen die Informationen, die sie brauchen, um etwas zu erreichen. Mit anderen Worten: Sie vermitteln Wissen.
Wissensarbeiter haben viel zu tun – sie reagieren auf Anfragen, beantworten Fragen und erstellen Ergebnisse vielerlei Art und oft auf vielen Kanälen. Es ist leicht möglich, dass dieser unaufhörliche Strom von Aufgaben die wichtige Arbeit überschattet, das Gelernte so zu erfassen, dass die gesamte Organisation davon profitiert. KCS integriert die Nutzung einer Wissensdatenbank in den Arbeitsablauf des Wissensarbeiters. KCS ist dann erfolgreich, wenn das Wiederverwenden, Verbessern und Erstellen von Wissensartikeln in einer Wissensdatenbank für den Wissensarbeiter zur Gewohnheit wird. Wenn diese KCS-Aktivitäten zur Gewohnheit werden, wird die Nacharbeit reduziert und die Qualität der wiederverwendeten Wissensartikel verbessert. Wenn die KCS-Praktiken richtig implementiert werden, verlängert sich die Bearbeitungszeit der Aufgabe nicht. Das ist die Eleganz der Methodik. Und deswegen ist diese Methode ideal geeignet um das Wissensmanagement in ihrer Support-Organisation zu organisieren. Und deswegen scheitert dieser Ansatz nicht so kläglich wie die vielen Versuche die ich zuvor bei unzähligen Firmen aller Branchen miterlebt habe.
Egal aus welcher Service Organisation nun stammen, KCS wird ihnen helfen schneller, effizienter und nachhaltiger zu agieren. Deswegen hat ServiceNow die Unterstützung mittels KCS für den IT Support, genauso vorgesehen wie für den Kunden Support oder das HR Service Delivery.